Warum Mentaltraining im Skisport unverzichtbar ist
«Die meisten ambitionierten Sportler gehen zum Mentaltrainer, das ist cool, ich ging zum Psychologen, das ist schlussendlich das Gleiche», sagt Nicole Schmidhofer, langjährige Ski-Weltcupfahrerin aus Österreich. Warum mentale Stärke gerade im Skisport derart wichtig ist, zeigt die aktuelle Weltcup-Saison. Die mentale Belastung von Lara Gut-Behrami und Co. ist wohl so hoch wie selten zuvor. Warum ist das so?
Junge Athleten werden oft allein gelassen
Bevor wir ins Thema eintauchen, machen wir einen Abstecher nach Zürich. Diese
Woche unterrichtete ich den Ausbildungstag «Interventionen und Rolle eines
Mentaltrainers» an der Sport Mental Akademie in Zürich. Die Akademie, die schon
zahlreiche hochkarätige Trainer, Coaches und Berater auf den Markt gebracht
hat. Eine Kursteilnehmerin sagt mir, dass ein Bekannter von ihr ein sehr
talentierter Eishockeyspieler sei. Da seine schulische Leistung nicht gut ist,
fordern seine Eltern nun, dass der Junge mehr Zeit ins Lernen investiert, statt
in den Sport. Das ist die Wurzel des Problems. Junge Menschen haben den
Leistungsdruck in der Schule oder Lehre, die Lust auf Freizeit mit Freunden und
Kollegen. Ihr Umfeld erwartet, dass sie Verantwortung übernehmen, dass sie sich
im familiären Haushalt beschäftigen. Das ist alles schön und gut. Es ist
berechtigt. Wer aber bereitet die jungen Menschen und Sportler darauf vor? Wer
kümmert sich darum, dass sie ihre Konzentration immer richtig steuern können?
Wer übernimmt die Verantwortung, dass Emotionen richtig reguliert und
eingesetzt werden? Hier werden zahlreiche Sportler ihrem Schicksal überlassen.
Und Jahre später finden sie sich wieder in derselben Situation. So wie es derzeit
die meisten Weltcup-Fahrerinnen im Ski Alpin erleben.
Mentaltraining als Pflichtprogramm
Lara Gut-Behrami bringt es diesen Winter auf den Punkt und sagt nach ihrem Sieg
im Super-G von Zauchensee, dass Athletinnen diesen Winter mit so vielen Dingen
konfrontiert werden und sich darauf konzentrieren müssen, dass schlussendlich
zu wenig Zeit bleibt, sich auf das Wichtigste zu fokussieren. Priorität im
Skisport haben Training und Wettkampf. Die Realität ist, dass es viel Drumum
gibt. Das Medieninteresse. Das Sponsoren-Interesse. Das Interesse des
Ausrüsters. Diese potenziellen Störfaktoren sind dieselben wie beim jungen
Sportler der Leistungsdruck in der Schule oder Lehre sowie das Bedürfnis mit
seinen Kumpels Spass zu haben. Unter dem Strich sind es Dinge, die sie daran
hindern, die Höchstleistung abzurufen. Manchmal verschiebt sich das Problem nach hinten. Heisst: Wer in seiner Jungendzeit viele Wettbewerbe
gewinnt und deshalb nie eine Strategie dafür entwickelt, was den Umgang mit
Konzentration, Emotion und Belastung betrifft, wird später dafür büssen. Top
Leistung gerade im Skisport ohne mentale Instrumente sind aus meiner Sicht
undenkbar. Deswegen ist das Mentaltraining gerade im Skisport auch unverzichtbar
und es überrascht nicht, dass in der Weltspitze praktisch ausnahmslos Sportler
stehen, die sich enorm mit ihren mentalen Prozessen auseinandersetzen.
Verletzungswelle sorgt für Verunsicherung
Zurück zu Nicole Schmidhofer. Sie ging erstmals zum Sportpsychologen, als sie
bereits im Ski-Weltcup war und blieb statt einer Stunde gleich drei Stunden
dort. Rückblickend sagt sie, dass sich dadurch vieles verändert habe. Was nicht
ideal war: Schmidhofer suchte den Mentaltrainer erst dann auf, als ihre
Leistungen nicht mehr stimmten. Das ist vergleichbar mit dem Gang zum Zahnarzt.
Manche suchen ihn erst dann auf, wenn der Zahn schmerzt. Die Realität zeigt,
dass eine mentale Grundgesundheit über viele Jahre aufgebaut werden muss. Neben
Marco Odermatt arbeiten mittlerweile fast alle Swiss-Ski-Athleten mit einem
Mentaltrainer zusammen, mit dem sie über all die Jahre eine Vertrauensbasis
aufgebaut haben. Dabei finden sie schnell ihre ganz individuelle
Regulationstechnik im Umgang mit Leistungsdruck, Auskunftspflicht und
Wettkampfstärke am Renntag. Alles Dinge, die für Weltcupfahrer zur Realität
gehören. Hinzu kommt gerade in diesem Winter die spürbare und grosse
Verunsicherung aufgrund der überdurchschnittlich vielen Verletzungen. Wer
langfristig keine oder zu wenig Resultate liefert, rutscht nach hinten ab. Mit
all diesen Störfaktoren sind Skisportler konfrontiert. Was Lara Gut-Behrami
damals ins Mikrofon von SRF gesagt hat, fand viele anerkennende Wort bei ihren
Mitstreiterinnen. Cornelia Hütter meinte einige Tage später, dass es Lara mit
ihrer Aussage genau auf den Punkt gebracht habe, wenn sie meinte, «im Weltcup
konzentrieren wir uns momentan auf alles, bloss nicht auf das Wesentliche -
aufs Skifahren.» Um bei all den Dingen gut dazustehen und als Athlet seine Leistung optimal abzurufen, hilft ein Sport-Psychologe. Oder um es «cool» zu nennen wie Nicole Schmidhofer, ein
Sport Mentaltrainer.